Das marokkanische Tagebuch, Oktober 2007
Ein paar Minuten vor dem Schlafwagenschaffner weckt uns unser eigener Wecker. Mineralwasser und Kekse stellen unser Frühstück dar während die Vorstädte und auch Slums des Ballungsraums Rabat-Casablanca vorbeiziehen. Pünktlich um 07:15 Uhr erreichen wir Casablanca Voyageurs und denken auch daran, unser Leergut mitzunehmen. Nach der großen Diskussion vom Vorabend stünde zu befürchten, dass leere Bierflaschen im Zug nur den Schlafwagenschaffner kompromittieren würden. Die folgenden 90 Minuten verbringen wir dann auf dem Bahnsteig, auf unseren Anschlusszug nach Marrakech wartend. Mit einigen Minuten Verspätung erscheint dieser und es erweist sich wieder als vorteilhaft, 1.Klasse inkl. der dann obligatorischen Platzkarte gebucht zu haben. Denn zum einen ist der Zug richtig gut belegt und in unserem Abteil bietet sich ein erfreulicher Anblick: Drei westlich gekleidete junge Damen. Überhaupt ist zu sagen, dass die 1.Klasse überwiegend weibliches Publikum aufweist, das die gesamte Bandbreite der marokkanischen Bevölkerung und ihrer Lebensstile repräsentiert. Die Yuppie-Mädels in unserem Abteil sind über weite Strecken entweder mit ihren Handys beschäftigt oder tauschen sich über ihre Jobs aus, wobei „Internet“ und „Marketing“ die am häufigsten auftauchenden Worte sind. Auf jeden Fall amüsieren sie sich prächtig als Stephan beim Aufenthalt in Benguerir den Zug kurz für ein paar Bilder verlässt, wir bieten ihnen also auch was Neues und Unterhaltsames.
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| E-1256 nach der Ankunft mit "unserem" Zug in Marrakech. Die Dame in weiß gehört übrigens wie ihre Ausrüstung erkennen lässt zur marokkanischen BRG und war mit rund einem halben Dutzend Kolleginnen pausenlos um das perfekte Erscheinungsbildes ihres Bahnhofes bemüht! |
In Marrakech angekommen beziehen wir erst einmal unser Hotelzimmer – vorgebuchtes Ibis direkt neben dem Bahnhof – und ziehen dann direkt los Richtung Bw. In der Einfahrt zum Güterbahnhof fragen wir einen dort wachenden Pförtner nach dem Weg, einer seiner „Gehilfen“ wird sofort eingeteilt, uns dorthin zu führen. Im Bw angekommen übergibt er uns an den ersten vorbeikommenden Bw-Arbeiter, dem wir schon einmal unser Begehr vortragen. Er (!!) erlaubt uns zu fotografieren, überlegt sich dann aber, dass es vielleicht doch besser wäre, vorher noch einmal den Chef zu fragen. Also geht er in den Lokschuppen und kommt mit dem Chef zurück. Hier erleben wir dann einmal eine ganz neue Ausführung des Modells „marokkanischer Chef“: Natürlich ist es erlaubt zu fotografieren, wir können uns frei bewegen und alles aufnehmen, was wir wollen.
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| So beginnen wir die Fotosession gleich mit der (inoffiziellen?) Museumslok E-621. |
Zusammen mit dem Chef stehen auch noch mehrere Arbeiter und Lokführer mit uns zusammen, keiner buckelt, jeder darf sich am Gespräch beteiligen, offenbar gibt es auch in Marokko die „Leichtigkeit des Südens“. Wir tigern also durchs Gelände und nach einiger Zeit nähert sich ein Typ von der Security, der mit adidas- Trainings- statt Uniformjacke ein etwas schräges Bild abgibt. Seine Frage nach unserem Tun beantworten wir mit dem Verweis auf die Genehmigung von oben. Das könne nicht sein, wir sollen mitkommen. Gerne gehen wir mit ihm Richtung Chefbüro, wo er sich dann eine gepflegte „Einnordung“ abholt. Um so etwas im weiteren Besuchsverlauf zu vermeiden geht nun ein Lokführer mit uns und als er erfährt, dass Stephan auch Lokführer ist, ist das Programm der nächsten Stunde geklärt: Wir bekommen auf allen im Bw verfügbaren E- und Dieselloks eine Kurzeinweisung inkl. kleiner Fahrstunde! Alles in allem zwei mehr als lohnende Stunden, die nicht nur viele Bilder sondern auch Fahrpraxis sowie den Kontakt zu unheimlich netten Menschen gebracht haben.
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| Internationale Übersichtsaufnahme im Bw Marrakech mit E-1256, E-1122 (beide aus Japan), E-621 (Frankreich) und DG-218 (Polen) |
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| Jetzt hat sich zu den beiden Japanerinnen noch ganz links E-1304 dazugesellt, in der Mitte mit der weisen Kappe unser Begleiter zur Abwehr weiterer Security-Übergriffe. |
Da der Bahnhof nicht mit sonderlich viel Betrieb aufwartet folgt am Spätnachmittag noch ein kleines
Sightseeing-Programm in Marrakech. Wir werfen einen Blick in das „Theatre
Royal“ und werden im Foyer, in dem gerade die Verkaufsschau eines Porzellanhändlers
stattfindet, direkt von einem Mitarbeiter „abgeschleppt“. Er macht mit uns
eine kurze Führung durch das Gebäude, das gerade renoviert wird, und erwartet
dafür natürlich anschließend Bakschisch, aber die 20 Dirham haben wir dann
auch noch. Zur Stärkung begeben wir uns anschließend in das angesagteste örtliche
Yuppie-Restaurant, das schon von weitem an seinem goldenen M erkennbar ist und
das mit in Deutschland nicht erhältlichen Spezialitäten wie dem „McArabia“
aufwartet. Mit Einbruch der Dunkelheit sind wir nach einem Verdauungsspaziergang
durch einen Park wieder im Hotel und wollen schon einmal, um die Abreise am nächsten
Morgen zu beschleunigen, das Zimmer bezahlen. Ein Unterfangen, das leider
erfolglos bleibt, denn an der Rezeption ist aktuell der Kassenschlüssel nicht
auffindbar... Dann eben nicht. Der Rest des Abends ist dann wieder das übliche
Programm: Abendessen, Absacker auf der Terrasse, Feierabend.