Das marokkanische Tagebuch, Oktober 2007
Nachdem uns am Vorabend die Bilder von Google Earth leider nicht geholfen haben, erweisen sie sich an diesem Morgen als äußerst wertvoll, denn in kürzester Zeit finden wir das gesuchte AW. Was wir leider nicht finden ist der Eingang. Zwar steht an einem schäbigen, alten und geschlossenen Eisentor „ONCF“ aber ob das der Eingang ist!? So entscheiden wir uns für die ortsübliche Variante, die da heißt: Auto an den Bahnhof stellen und dann einmal quer über das Gleisfeld laufen. Im AW angekommen geleitet uns erst einmal ein Mitarbeiter zum Pförtner, der auf der anderen Seite des oben genannten Eisentors residiert. Dort erhalten wir einen „Visiteur“-Anstecker und werden vom nächsten Beschäftigten ins Verwaltungsgebäude geleitet. Den Herren, in dessen Büro wir platziert werden, fragen wir dann nach einer Besichtigungsmöglichkeit woraufhin er uns erst einmal nach einer Genehmigung aus Rabat fragt. Die können wir nicht vorweisen und so vertröstet er uns auf morgen, Dann sei der Chef wieder da, er sei nur der Vertreter und könne das nicht entscheiden. Naja, da wir uns auch noch das Bw in Sidi Kacem und ein paar Streckenmotive vorgenommen haben, verlassen wir das AW und machen uns auf den Weg nach Sidi Kacem. Vor den Bw-Besuch packen wir noch die erste Streckenaufnahme, Zug 111 mit E-1252 bei der Ausfahrt aus Sidi Kacem in einer Schlucht.
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| Die Japanerin E-1252 mit Zug 111 am Stadtrand von Sidi Kacem. Wer genau hinschaut wird in dem Zug den sonst üblichen Generatorwagen zur Versorgung der Klimaanlagen der Wagen vermissen. Der wurde nicht vergessen und die Reisenden schwimmen nicht im eigenen Saft; vielmehr sind die E-1250 als einzige in der Lage, die Energieversorgung der Wagen selber zu übernehmen. |
Anschließend fahren wir Richtung Bahnhof und stellen fest, dass der Vorplatz sehr „einladend“ ist, stellt er doch gleichzeitig auch den Ladebereich der örtlichen Erdöl-Raffinerie dar. Der ankommende Reisende wird also beim Verlassen des Bahnhofs direkt von einer Armada Tanklaster begrüßt! Wieder geht es quer durchs Gleisfeld und hier haben wir mehr Glück, wir dürfen eine Fotorunde – natürlich mit (gelangweiltem) Begleiter – drehen. Und so kommen uns neben der polnischen DG-201 und FRETchen DF-115 auch noch DF-102, DF-111 und E-1312 als französisches Familientreffen im Wüstenlook vor die Linse. Perfekt wird das Ganze, als sich später kurzzeitig noch DF-112 nach ihrer Ankunft mit dem Güterzug von Tanger dazugesellt.
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| Drei auf einen Streich: DF-102, DF-112 und DF-111 im Bw Sidi Kacem. |
Nach diesem erfolgreichen Abstecher fahren wir zum vormittäglichen Motiv zurück und sehen bei der Durchquerung der Stadt, dass Sidi Kacem neben „grand taxi“ und „petit taxi“ noch eine dritte Form Taxi zu bieten hat: Hier sind tatsächlich noch in größerer Zahl Pferdedroschken im richtigen Einsatz! Am Ortsrand müssen wir dann wieder einen wirklich üblen Slum durch- und die anschließende Müllhalde überqueren, werden dann aber noch mit vier recht hübschen Motiven belohnt: Zug 124 mit E-1314, Züge 121 und 126 jeweils mit einer DH-350 und Zug 125 mit einer E-1300. Also noch zwei Franzosen-E-Loks und die ersten zwei US-Diesel!
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| Wieder am Stadtrand von Sidi Kacem, jetzt aber die andere Richtung und Premiere für zwei weitere internationale Beiträge zur marokkanischen Eisenbahn. Zug 126 kommt von Fez, gezogen von einer amerikanischen DH-350 und hinter der Lok mehrere ehemals belgische Wagen als Feiertagsverstärker. |
So kann man dann Sidi Kacem abhaken und sich
langsam wieder auf den Weg nach Meknes machen. Auf dem Viadukt bei Et Tleta
folgt dann noch eine E-1250 mit Zug 130 Richtung Casablanca bevor wir für die
letzten Bilder des Tages noch ein wenig weiterziehen. An einem Bahnübergang
postieren wir uns und in der nächsten halben Stunde prallen an dieser Ecke
mitten im Nichts noch mal Welten aufeinander. Die zwei europäischen
Eisenbahnfuzzys und gegenüber hält kurz darauf ein Pickup, von dessen Ladefläche
drei komplett verschleierte Frauen steigen, die dann auf ihre nächste Fahrmöglichkeit
warten. Und als Zwischenstufe stranden wenig später noch zwei marokkanische
Yuppies ausgerechnet hier mit Mopedpanne. Der eine greift sein Handy – wohl um
Hilfe zu rufen – während der andere die Sitzbank hochklappt und zwei Boxen
einer Musikanlage hervorkramt. Die werden direkt angeschlossen und so kann man
sich die Wartezeit auf den Pannendienst mit der aktuellen Hitparade vertreiben!
Für uns von Bedeutung ist allerdings der Expresszug Fez-Casablanca, der von
einem der brandneuen italienischen Doppelstockzüge gebildet wird und als
Abschluss des Tages Zug 127 am Haken von E-1254.
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| Eine unbekannte E-1250 bei Et Tleta auf halbem Weg zwischen Meknes und Sidi Kacem. |
Zurück im Hotel in Meknes folgt dann das übliche Programm: Duschen, Abendessen, Absacker, wobei der wegen der angenehmen Temperatur wieder auf der Terrasse eingenommen wird. Und da fallen uns Lärm und bunte Lichter ganz in der Nähe auf. Es scheint sich um einen Rummelplatz zu handeln und da muss dann doch die über die Eisenbahn hinausgehende touristische Neugier befriedigt werden, ein Entschluss, den wir nicht bereuen werden. Der Rummel wartet mit diversen Karussells, Autoscootern etc. auf, die ganz offensichtlich ihre Karriere vor 30 – oder mehr – Jahren in Europa begonnen haben. Daneben gibt es aber auch Attraktionen, die man in Deutschland vergeblich oder zumindest lange sucht. Da ist zunächst einmal die „Mur de la mort“ (Mauer des Todes): Steilwandfahren in einer Holzkonstruktion, die bei einem deutschen TÜV-Ingenieur vermutlich spontanen Herzinfarkt verursachen würde. Die gebotene Show ist aber prima und mit „Mauer des Todes“ wird wirklich nicht zu viel versprochen! Nebenan kann man für fünf Dirham Eintritt in ein von außen nicht einsehbares Zelt erlangen. Mit dem Gedanken „Bauchtanz?“ testen wir auch das. Im Zelt ca. 80-100 Stühle, vorne eine kleine Bar und eine 2-Mann-Kapelle, auf den Stühlen rund 50 Jugendliche. Wir holen uns zwei Cola und harren der Dinge, die da kommen. Einige Jugendliche holen sich am Getränkestand auch noch Wasserpfeifen und kurz darauf beginnt die Kapelle zu spielen. Nun beginnen die Jugendlichen – teils mehr, teils weniger verlegen – zu tanzen. Und das war’s! Disco auf marokkanisch, irgendwie müssen die Geschlechter zusammenkommen, nur von außen sehen darf es keiner! Der Wahrsager mit Glöckchen im knallroten Kaftan hätte sicher auch eine prima Story abgegeben, aber da gäbe es wieder das Verständigungsproblem. Also entscheiden wir uns nach einer runden Stunde zum Abmarsch, schließlich sind wir ja nicht zum Spaß hier und müssen am nächsten Morgen noch mal ins AW!