Das marokkanische Tagebuch, Oktober 2007

 

Dienstag, 9.Oktober

 

Noch früher als am Vortag starten wir in den letzten Tag an der Tanger-Linie. Karten- und Fahrplanstudium haben ergeben, dass die beiden Güterzüge etwa 07:15 Uhr in Tleta Risanna kreuzen müssen und das soll unser erstes Ziel sein. Über abenteuerliche, enge Straßen geht es in das Hinterland, und das in zügigem Tempo, denn irgendwie haben wir uns mit der Entfernung ein wenig verschätzt. Bei der Ankunft in Tleta steht der nordfahrende 3200 mit der sandfarbenen DF-105 im Bahnhof und der „Profi“ erkennt: Die wartet noch auf den Gegenzug. Mindestens genau so interessant wie Zug und Bahnhof ist das Umfeld, denn in Tleta ist an diesem Tag direkt neben dem Bahnhof Viehmarkt. Und so strömen aus allen Richtungen hunderte, wenn nicht tausende Menschen (und Tiere vom Huhn bis zum Esel) herbei und bevölkern das kleine Dorf. In dem ganzen Gewühl nimmt kaum einer Notiz von den beiden Fuzzys, die die wartende DF fotografieren und sich dann auf der Brücke am Nordkopf des Bahnhofs postieren, um auf den Gegenzug zu warten.

Viehmarkt in Tleta Risanna, da steppt schon morgens um halb acht der Bär!

 

Der kommt nach reichlich 30 Minuten mit DF-114, also die nächste sandfarbene. Es folgt fotografisch noch die Ausfahrt der DF-105 mit ihrem Zug nach Tanger inkl. des minutenlangen akustischen Erlebnisses der in Tleta beginnenden Bergstrecke! Wir haben also noch zwei sandfarbene in grandioser Umgebung im Kasten und fahren weiter nach Ksar el Kebir zu dem am Sonntag inspizierten Motiv.

DF-105 verlässt Tleta Risanna in Richtung Tanger. So ganz ohne Wüste, Eselskarren und Menschen in arabischer Kleidung und stattdessen dem schweren schwarzen Ackerboden im Vordergrund macht nur die DF klar, dass man in Marokko und nicht im Vogelsberg ist...

 

DF-102 kommt mit Express 301 nachdem sich zuvor die Sonne verabschiedet hat und ein Blick in den Himmel keine Hoffnung auf baldige Rückkehr macht. Wir folgen dem Express, denn wir wollen in Mechra ben Ksiri den Güterzug noch einmal einholen. Auf dem Weg fällt dann bei Arbaoua noch ein Querschuss auf den Express 301 ab, bevor uns anschließend in Souk el Arba eine Radarkontrolle einen Zwangsstopp verpasst. Der vor der Reise erhaltene Tipp, in einem solchen Fall völlig fehlende Französischkenntnisse vorzuschützen funktioniert und wir kommen ohne Ticket davon. In Mechra ben Ksiri steht der Güterzug noch im Bahnhof und wir kommen zu ein paar schönen Portraits in der jetzt doch wieder aufgetauchten Sonne. Weiter geht’s zum südlichen Einfahrsignal, wo DF-114 noch mal einen guten Eindruck macht.

Mechra ben Ksiri, einer der letzten marokkanischen Bahnhöfe mit Formsignalen.

 

Für uns geht es nun wieder zurück Richtung Arbaoua inklusive Vorsicht vor der Radarkontrolle in Souk el Arba. Wir fahren extra vorsichtig, werden aber erkannt und sofort wieder angehalten, denn schließlich hatten wir eine Stunde zuvor Meknes als Ziel angegeben und dafür sind wir jetzt in der falschen Richtung unterwegs. Also wieder dumm gestellt und kurz darauf geht’s endlich weiter. Bei Arbaoua steht dann Express 303 auf dem Programm, der an beiden Vortagen jeweils in Doppeltraktion fuhr. Heute ist nur eine Lok davor, mit DF-115 natürlich ein FRETchen und die Sonne ist auch wieder weg. Naja, Schwamm drüber und auf den Gegenzug 304 gewartet. Wir fahren zur Feldwegbrücke südlich des Bahnhofs und verzehren erst einmal die auf dem Weg gekaufte Honigmelone. Ein plötzlich auftauchender Radfahrer kommentiert das mit erhobenem Zeigefinger und irgendwie scheint er einen Draht nach oben zu haben: Es zieht sich schlagartig wieder zu und für gerade einmal fünf Minuten kommt ein richtig fetter Sturm auf! Sollten sich also auch Ungläubige besser an den Ramadan halten? Genug dieser Gedanken, langsam wird es Zeit für den 304. Wir warten und warten, nur der Zug kommt nicht. Dafür kommt die Sonne wieder raus und ihre Wanderung zwingt uns dann auch zu einem Standortwechsel um ein paar hundert Meter. Die Warterei geht weiter und weiter und auf der kleinen Straße ziehen hunderte Menschen an uns vorbei. Eselgespanne, Mopeds sowie die obligatorischen Trecker mit 50 Personen auf dem Hänger. Auch hier stellt sich uns wieder die Frage nach woher und wohin, die wir uns erneut nicht beantworten können. Irgendwie faszinierend in diesem Land: Ständig tauchen aus dem Nichts große Menschenmengen auf und verschwinden auch wieder im Nichts. Über diese Gedanken hat der 304 inzwischen fast zwei Stunden Verspätung. Langsam wird es auch Zeit für den 305, den nächsten Zug von Tanger, und ich erkunde mal schnell per Auto einen potentiellen Fotopunkt in der Nordeinfahrt, da dort für diesen Zug das Licht besser sein dürfte. Der stellt sich als wirklich Klasse heraus und ich kehre zur Stelle für den 304 zurück, an der Stephan gewartet hat. Er gibt mir auch direkt Zeichen, dass jetzt der 304 im Anmarsch ist. Es wird ein wenig hektisch mit Auto abstellen und Kamera rausholen aber es klappt. Die Hektik geht weiter, denn wir erkennen, das jetzt und hier die Kreuzung der beiden Expresszüge ansteht. Also ab an den Nordkopf und dort den 305 mit der sandfarbenen DF-111 geklickt. Nach dem Bild direkt wieder ins Auto und an die Feldwegbrücke südlich vom Bahnhof, denn dort müsste der 305 nach der Kreuzung noch mal „gehen“. Auch das funktioniert und 10 Minuten Hektik werden mit zwei grandiosen Abschüssen „Wüstenlok mit Express“ belohnt.

Zug 305 kurz vor dem Bahnhof Arbaoua, auch hier ist wieder ein blinder Passagier dabei.

 

Wir machen uns auf den Weg nach Süden zu unserem nächsten Etappenort Meknes und „erlegen“ auf dem Weg bei Souk el Arba noch den nordfahrenden Express 306. Mit DF-116 verabschiedet uns „standesgemäß“ eine FRET von der Strecke, die allerdings als Verstärker auch ein paar der alten belgischen Wagen im Schlepp hat, also doch noch mal was Neues. Bei einbrechender Dunkelheit fahren wir gen Süden und beim Eintreffen in der Halbmillionenstadt Meknes ist es richtig dunkel. Das Luftbild von Google Earth hilft auch nicht wirklich, denn wir stellen bald fest: Dass wir so problemlos durchgekommen sind liegt daran, dass wir eine Art Umgehungsstraße am Stadtrand benutzt und nun das andere Stadtende erreicht haben! Also wieder zurück und wir entdecken ein Hinweisschild auf das vorgebuchte Ibis. Da sich das aber in Bahnhofsnähe befinden soll folgen wir an der nächsten Kreuzung der Beschilderung Bahnhof, schwerer Fehler! Wir geraten mitten in die Innenstadt und finden nach einigen Versuchen den Bahnhof, dort ist aber kein Ibis!? Wenigstens gibt es einen Stand für „petit taxi“ und ein freundlicher Fahrer weist uns den Weg zum Hotel, das rund zwei Kilometer vom Bahnhof entfernt ist! Nur gut, dass wir von Tanger vorgebucht hatten, da weiß man wenigstens während der einstündigen Rumgurkerei, dass man, wenn man des Hotel endlich mal findet, auch sein Zimmer sicher hat.

 

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